Ich habe zwei Heimatstädte und Berlin ist meine Wahlheimat geworden.
Ich bin Carmen Cordio- la, eine Wahlberline- rin, schon seit einigen Jahrzehnten, ich bin ursprünglich aus Ar- gentinien. Ich bin zwar nicht in Buenos Aires geboren, aber bin dort aufgewachsen. Ich fühle mich Buenos Aires nach wie vor sehr, sehr verbunden. Ich habe Berlin irgendwann wirklich aus Zufall entdeckt und es wurde tatsächlich zu meiner Heimat. Weder zu meiner ersten noch zu meiner zweiten, sondern zu meiner Wahlheimat. Ich habe zwei Heimatstädte und Berlin ist meine Wahlheimat geworden. Ich bin aus freien Stü- cken hier gekommen und hier geblieben! Es gibt sehr viele Leute, sehr viele Frauen, die sich das nicht auszusuchen können.
welche PRIVILEGIEN bringe ich mit?
Es wurde mir erst in Berlin bewusst, wie diskriminiert ich in Argentienien gewesen war, aus dem einfachen Grund, eine Frau zu sein.
Es wäre wirklich schlau, wenn wir uns immer bewusster ma- chen würden, wie viele Privilgien wir mit uns bringen. Genau in dem selben Moment, in dem wir uns mit Diskrimi- nierungsthemen ausein- andersetzen: „Okay, ich werde diskriminiert, aber welche Privilegien bringe ich mit?“ Weil das gibt mir eine andere Perspektive und die Diskriminierung, die ich erfahren habe hier in Berlin, ist nicht vergleichbar mit denen, die Rassismus erfahren haben, die nicht freiwillig nach Berlin gekommen sind, so wie ich.
Die sogenannten Hexen waren mächtige Frauen, die in Kontakt mit ihrer eigenen Macht waren.
Ich habe tatsächlich vor einiger Zeit ein Seminar über Hexen im Harz, wo dieser Hexen- kult her stammt. Und tatsächlich die so- genannten Hexen waren mächtige Frauen, die
in Kontakt mit ihrer eigenen Macht waren. Für die gesellschaftlichen, kulturellen Strukturen waren sie sehr bedrohliche Mächte. Deswegen wurden diese Frauen nicht nur mundtot gemacht, son- dern tot gemacht, also wurden tatsächlich verbrannt.
Ich arbeite mit Frauen, die führen, weil diese Welt mehr weibliche Führung und Weiblichkeit braucht.
Nach wie vor, auch in Führungspositionen, ist es für Frauen su- per wichtig: gemocht zu werden. Für Männer in Führungspositionen ist es, gefürchtet zu werden das, was einen super hohen Stellenwert hat. Klar, wir Frauen wollen auch die- se Autorität, aber dafür müssen wir doppelt oder dreifach so viel kämpfen, um sie zu erreichen. Wir alle wissen davon. Das weiß ich auch von den Frauen, mit denen ich arbeite. Das habe ich tatsäsch- lich noch nicht gesagt: ich arbeite mit Frauen, die führen, weil ganz einfach diese Welt mehr weibliche Führung und Weiblichkeit braucht. Frauen, die in Macht- positionen kommen sind nicht alle überzeugt, dass sie mit Weiblich- keit führen können. Also viele Frauen den- ken, wie ich die ersten drei Jahrzehnte meines Lebens sehr überzeugt davon war, dass wir nur mit Männlichkeit oder mit männlichen Qualitäten führen können und dass es nur so geht. Das ist nicht nur Quatsch, das ist sehr gefährlich, wenn wir nach wie vor, nur männ- lich führen, weil da- mit fahren wir die Welt gegen die Wand. So wie wir merken, was gerade alles passiert.
Geschlechterrollen
Meine Mutter war tatsächlich eine Feministin, die sich dann von den traditionellen Strukturen hat viel- leicht besiegen lassen. Ich will das nicht so hart ausdrücken, das klingt sehr hart. Ich glaube aus der heutigen Perspektive, wenn ich mir meine Mutter angu- cke, sie war eine un- glaublich revolutionäre Frau für ihre Zeit. Sie hat in einer technischen Schule studiert, sie wollte Chemie studieren, sie war tatsächlich sehr sehr klar in dem was sie wollte. Und dann hat sie meinen Vater ken- nengelernt und hat ihr Studium gelassen. Dann hat sie mich und mei- nen Bruder bekommen und hat sie nicht mehr stu- diert, dann wurde sie Mutter und Hausfrau. Die Chemie und ihre professionelle Karriere sind auf die zweite Reihe und dann auf die dritte Reihe gerutscht.
In meiner Familie war Intelligenz ein sehr hoher Wert, und Intelligenz war den Männern zugesprochen
In meiner Familie war Intelligenz ein sehr hoher Wert, und Intelligenz war den Männern zugesprochen. Meine Mutter war liebevoll, meine Mutter hat sich um uns gekümmert, meine Mutter hat dafür ge- sorgt, dass es immer eine schöne Atmophäre gibt, hat für Dialog gesorgt, und mein Vater war der Besitzer der Intelligenz, der Besit- zer der Wahrheit. Für mich waren es Werte wie Empathie, Werte wie „ich beschütze die Kinder“ und Werte wie Familie, Werte wie „wir sorgen dafür dass sich alle gut fühlen“, das war für mich nicht so relevant, wie intelli- gent zu sein, wie Macht zu haben und Macht war ganz klar Besitz von meinem Vater. Irgend- wann habe ich dann be- merkt, okay, dass hat mit Männern zu tun und ich möchte eigentlich zum Gewinnerteam gehören. Ich möchte nicht zum Team der Mütter ge- hören, ich möchte nicht zum Team der Hausfrauen gehören. Das war für mich das Verliererteam.
Heute weiß ich, dass ich da bin, wo ich bin, dank meiner Mutter, weil sie die Person war, die ein unglaubli- ches Selbstbewusstsein in mir gepflanzt hat, durch diesen Halt, den sie mir gegeben hat.
MACHT DER WEIBLICHKEIT
Ein Role Model sein, ein Beispiel sein, für meine beiden Töchter, so dass sie sich freu- en können eine Frau zu sein. Ich habe großar- tige Role Models gefun- den und habe großartige Frauen kennengelernt, die sich mit dem The- ma schon jahrelang be- schäftigt hatten, mit der Macht der Weiblich- keit. Sie haben Weib- lichkeit sichtbar ge- macht, sie haben sich mit dem Frausein be- schäftigt im Kontext: im kulturellen Kontext, im sozialen Kontext, im geschichtlichen Kon- text. Und das war für mich Mind-blowing. Das war für mich genau das, was ich gesucht hatte und plötzlich war Weib- lichkeit der Ursprung von Allem.
Durch meine Töchter, also zuerst durch meine Mutter, aber dann durch meine Töchter, also die Generation vor und die Generation nach mir, haben aus mir diese Frau gemacht, die heute ein riesiges Bewusstsein über die Macht der Weiblichkeit lebt - und kommuniziert und an- steckt. Das habe ich mir zum Beruf gemacht. Das ist mein Beruf, an- stecken mit der weibli- chen Macht. Ja!
MäNNLICHKEIT UND GEFüHLE
Genau so viel, wie wir in patriachalen Strukturen, vielleicht noch mehr, weil sie haben nicht mal die Erlaub- nis, sich mit den Ge- fühlen in Verbindung zu setzen, und darüber zu sprechen. Diese Räume für Männer sind noch seltener als für Frauen, wo sie sich über Gefühle austauschen können. In patriarchalen Strukturen gehören Männlichkeit und Gefühle nicht zusammen.
Viele Frauen denken, dass wir nur mit Männlichkeit oder mit männlichen Qualitäten führen können.
“in-side-migrant*innen” ist ein Projekt von FZM* und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben! gefördert.
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